03. Oktober 2019
| InfosperberEine Mikrosteuer brächte der Schweiz Konkurrenzvorteile
Eine Promillesteuer auf elektronischen Zahlungen anstatt Mehrwert- und Bundessteuer wäre im Alleingang möglich, sagt Marc Chesney.
Urs P. Gasche / 03. Okt 2019
upg. Wahrscheinlich Ende Jahr wird die Volksinitiative zur Einführung einer Mikrosteuer auf allen elektronischen Finanztransaktionen gestartet. Infosperber hatte darüber berichtet. Im Folgenden ein Interview mit Marc Chesney, Finanzprofessor an der Universität Zürich und Mitglied des Initiativkomitees.
Infosperber: Die Konsumentinnen und Konsumenten würden eine Steuer zwischen 0,1 und 0,5 Prozent auf ihren Zahlungen und Geldbezügen kaum merken. Dagegen wäre der Hochfrequenzhandel mit Wertpapieren und Währungen, bei dem in Bruchteilen von Sekunden grosse Volumen umgesetzt werden, stark betroffen. Könnte dieser ganze Handel nach Einführung einer Mikrosteuer nicht problemlos ins Ausland abwandern?
Chesney: Dieser Hochfrequenzhandel erreicht tatsächlich riesige Volumen, doch handelt es sich um ein casinomässiges Wettgeschäft, das der realen Wirtschaft keinen Nutzen bringt. Er kann ruhig aus der Schweiz verschwinden.
Heute entsprechen alle elektronischen Transaktionen in der Schweiz mindestens 100’000 Milliarden Franken. Eine Mikrosteuer von nur 0,1 Prozent würde 100 Milliarden Franken abwerfen. Das sind mehr als genug, um sowohl die ganzen Mehrwertsteuern (23 Mrd), Bundessteuern (22 Mrd) und Stempelsteuern (2 Mrd) zu ersetzen. Es blieben sogar noch Milliarden für Kantone und Gemeinden übrig, insbesondere um die Energiewende zu finanzieren.
Selbst unter der unrealistisch extremen Annahme, dass 80 Prozent der heutigen elektronischen Transaktionen ins Ausland abwandern würden, brächte eine Mikrosteuer von 0,3 Prozent immer noch 60 Milliarden Franken ein – immer noch mehr als genug, um alle diese drei Steuern abzuschaffen.
Welchen Anteil hat denn der Hochfrequenzhandel heute in der Schweiz?
Chesney: Der Hochfrequenzhandel macht etwa die Hälfte aller Finanztransaktionen mit Wertpapieren aus, also viel weniger als die Hälfte sämtlicher Finanztransaktionen. Beim Hochfrequenzhandel wird meistens innerhalb von Mikrosekunden auf Wertveränderungen von Wertpapieren gewettet. Dieser Anteil des Handels würde wegen der Mikrosteuer ins Ausland verlagert. Doch das wäre sogar wünschenswert, weil diese gigantischen Sekunden-Spekulationen die normalen Anleger meistens benachteiligt und zudem der Realwirtschaft schadet. Arbeitsplätze gingen nur wenige verloren, weil dieses Spekulationscasino weitgehend automatisiert abläuft.
Eine moderne, einfache und transparente Besteuerung mit einer Mikrosteuer und das Abschaffen der bürokratischen Mehrwertsteuer brächte der Schweiz einen Standortvorteil für alle Unternehmen und insbesondere für Startups, die heute meistens im Ausland domiziliert sind. Das würde schliesslich auch neue Arbeitsplätze schaffen.
Übrigens. Bargeldlose Geldtransaktionen im Ausland müssten Personen und Unternehmen, die in der Schweiz steuerpflichtig sind, in Selbstdeklaration angeben, so dass ebenfalls eine Mikrosteuer fällig würde.
Der Banken- und Finanzsektor wird sich gegen eine Mikrosteuer auf Finanztransaktionen heftig wehren!
Chesney: Man darf nicht den ganzen Finanzsektor in einen Topf werfen. Grossbanken, grosse Investmentfonds und Rohstoffhändler, die alle in grossem Stil den Hochfrequenzhandel mit seiner grossen Hebelwirkung für kurzfristige Profite nutzen, werden an einer Mikrosteuer keine Freude haben.
Die vielen andern Banken aber, die ihren traditionellen Geschäften nachgehen, können von einer Mikrosteuer sogar profitieren. Denn die Initiative sieht vor, dass sie für das Einziehen der Mikrosteuer entschädigt werden. Generell kann man sagen, dass die überwiegende Mehrheit der Unternehmen von einer Mikrosteuer profitiert, weil sehr viel Bürokratie wegfällt, wenn die Mehrwertsteuer, die Bundessteuer und die Stempelsteuer abgeschafft werden.
Opposition ist auch von den Devisenhändlern zu erwarten.
Chesney: Die Devisengeschäfte gehören tatsächlich zu den elektronischen Finanztransaktionen, die einer Mikrosteuer unterworfen sind. Der Devisenhandel ist heute völlig aufgebläht mit einem Volumen von weltweit ungefähr 5000 Milliarden Dollar – pro Tag! Die Transaktionen einer einzigen Woche würden genügen, um den jährlichen weltweiten Handel aller Güter und Dienstleistungen abzuwickeln. Das Volumen des Devisenhandels während der restlichen 51 Wochen dient einer stark übertriebenen Spekulation und macht den nützlichen Devisenmarkt ineffizienter und intransparenter. Eine Mikrosteuer würde etwas Sand ins Getriebe eines Finanzcasinos mit seinen aufgeblasenen Wettgeschäften bringen, das sich allzu stark von der Realwirtschaft abgehängt hat.
Bisher wurde vor allem eine «Tobin»- bzw. Finanztransaktionssteuer vorgeschlagen. Wäre das nicht ein realisierbarer Anfang?
Chesney: Es gibt schon genügend Arten von Steuern. Das wäre eine zusätzliche. Die Mikrosteuer dagegen kann drei bestehende Steuern komplett ersetzen: die Mehrwert-, Bundes- und Stempelsteuer. Sie wird nicht nur auf dem Handel mit Wertpapieren erhoben, sondern auf allen elektronischen Zahlungen. Wer im Restaurant mit einer Bankkarte bezahlt, am Bankomat Geld abhebt oder Rechnungen mit E-Banking begleicht, zahlt – je nach nötigem Gesamtertrag – 0,1 oder 0,3 oder 0,5 Prozent als Mikrosteuer.
Mehr Leute als heute werden dann einfach in bar zahlen.
Chesney: Gerade in der Schweiz hat Bargeld einen hohen Stellenwert. Aber der elektronische Zahlungsverkehr wird im Alltag nicht abnehmen, weil der Barverkehr mehr kostet als was man bei einer Umgehung der Mikrosteuer sparen könnte.