17. Januar 2022
Es gibt Menschen, die denken, dass Regeln nicht für alle gleich gelten
Der Präsident der Credit Suisse, António Horta-Osório, hat sich nicht an Corona-Regeln gehalten – und musste zurücktreten. Auch Tennis-Star Novak Djokovic gibt zu reden. Finanz-Experte Marc Chesney überraschen die Vorfälle nicht.
Jacqueline Straub
António Horta-Osório hat Quarantäneregeln missachtet. Nun ist er als Präsident des Credit-Suisse-Verwaltungsrats zurückgetreten. Darf es eine Extra-Wurst für Promis geben?
Marc Chesney*: Ganz klar nein. Warum sollten Gesetze und Regeln für eine kleine Minderheit nicht gelten? Es gibt keinen Grund, Ausnahmen zu machen. Dennoch: Es gibt Menschen, die die Regeln der Gesellschaft nicht respektieren wollen, weil sie denken, dass sie besser sind und über anderen stehen.
Auch der ungeimpfte Tennisspieler Novak Djokovic wollte bei den Australian Open mitspielen. Djokovic erhielt schlussendlich kein Visum und musste das Land verlassen. Warum halten sich Promis nicht an Corona-Massnahmen?
Chesney: Das ist kein neues Phänomen. Auch schon vor Corona gab es Menschen, die sich nicht an die Regeln gehalten haben und dachten, dass Regeln nicht für alle gleich gelten.
Was für Folgen kann das Missachten von Corona-Regeln eines Top-Managers für ein Unternehmen haben?
Chesney: Durch den Rücktritt des CS-Präsidenten ist der Aktienkurs heute Morgen gesunken. Das Verhalten eines Präsidenten hat also deutlich Auswirkungen auf das Image des Unternehmens. Doch in der CS gab es in den letzten Monaten immer wieder Skandale. Ich denke, dass das Verstossen gegen die Quarantänepflicht von Horta-Osório nicht zu den schlimmsten Verfehlungen der Credit Suisse zählt.
Menschen, die eine gewisse Position haben, haben auch eine gewisse Verantwortung. Diese Verantwortung muss ernstgenommen werden. Sie dürfen nicht einfach etwas sagen und dann aber anders handeln. Das ist unethisch. Horta-Osório versprach einen Kulturwandel der CS. Das waren nur schöne Worte. Denn am Ende des Tages gibt es keinen solchen Wandel, wenn es zwar Gesetze oder Prinzipien gibt, die aber nicht für ihn gelten.
Wie wirken solche Fehltritte auf die Bevölkerung? Könnte das negative Folgen auf die Gesellschaft haben?
Chesney: Regeln, Normen und Prinzipien sind wichtig für eine Gesellschaft. Wer wird die Regeln noch ernstnehmen, wenn sich Prominente nicht daran halten? Die Enthüllungen der Pandora Papers haben gezeigt, dass zahlreiche Prominente aus der Welt von Politik, Wirtschaft, Sport und Showbusiness ihr Vermögen in Steueroasen deponiert haben. Sie denken, nur weil sie superreich sind, müssen sie keine oder weniger Steuern zahlen. Das geht nicht.
Deswegen vertrauen viele Menschen der Politik nicht mehr. Sie wählen dann die Trumps dieser Welt, weil diese sich als Lösungen präsentieren. Diejenigen, die politisch oder wirtschaftlich Verantwortung haben und deren Taten ihren Worten widersprechen, stellen eine gewisse Gefahr für unsere Gesellschaft dar.
Können Promis überhaupt noch als Vorbilder dienen?
Chesney: Diejenigen, die etwas sagen und dann etwas anderes machen, sind keine Vorbilder. Sie verlieren ihre Glaubwürdigkeit.
Sprechen wir hier von der Mehrheit oder der Minderheit der bekannten Persönlichkeiten?
Chesney: Eine Minderheit ist sicher ehrlich und kann als Vorbild betrachtet werden.
* Marc Chesney (62) ist Professor für Quantitative Finance am Institut für Banking und Finance der Universität Zürich. Er hat sich zudem auf Ethik im Finanzwesen spezialisiert.