20. März 2023
| InfosperberDie Wettgeschäfte der Grossbanken verbieten
Nach der Finanzkrise von 2008 versprachen Regierung, Aufsichtsbehörden und Politiker, dafür zu sorgen, dass künftig keine Bank mehr «too big to fail» sein wird. Doch auf Druck der Banken-Lobby mussten die Banken ihr ungewichtetes und gewichtetes Eigenkapital viel zu wenig erhöhen. Zudem mussten die Grossbanken ihre risikoreichen Wettgeschäfte, die sie mit eigenem Geld betreiben, von ihrem normalen Geschäft mit Bankkunden nicht trennen. Politisch verantwortlich dafür sind im Bundeshaus in erster Linie die Fraktionen der SVP und FDP, aber auch solche der Mitte und der Grünliberalen.
Auch «Notfallpläne» oder «Recovery»-Szenarien wurden heilig versprochen, jedoch nicht ernsthaft durchgesetzt. Sie sollten garantieren, dass eine Grossbank bei einer Konkursgefahr die systemrelevanten Aktivitäten weiterführen, oder dass die Bank im Extremfall «geordnet» abgewickelt werden kann.
Regierung, Aufsichtsbehörden, viele Politiker und Finanzinstitute haben der Öffentlichkeit Sand in die Augen gestreut. Sie versicherten, die Grossbanken seien keine Gefahr mehr für die Realwirtschaft. Als ein Beispiel unter vielen sei etwa die «Finpension AG» zitiert, welche Pensionskassengelder verwaltet. Sie verbreitet auf ihrer Homepage:
«Scheint eine Sanierung [der CS] auf Gruppenstufe nicht möglich oder ist diese nicht erfolgreich, so greift eine zweite Stufe – der Schweizer Notfallplan. Die Credit Schweiz AG würde aus der Gruppe herausgelöst. Da die systemrelevanten Funktionen bereits über die Credit Suisse Schweiz AG laufen, ist die Kontinuität und unterbruchsfreie Weiterführung garantiert.»
Ganz anders Finanzprofessor Marc Chesney der Universität Zürich: Er warnt schon lange, dass Grossbanken zu wenig reguliert und in ein Wett-Casino verstrickt seien. Diese Banken würden beim Spekulieren mit eigenem Geld unverantwortliche Risiken eingehen im Wissen, dass sie bei einem drohenden Totalverlust noch immer auf die Rettung durch den Staat zählen können.
«Sie spielten mit der Führungsriege der CS vielleicht lieber Golf»
Urs P. Gasche: Sie bezeichneten es immer wieder als «beunruhigend», dass Finanzanalysten, Auditoren, die Politik, die Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler – von wenigen Ausnahmen abgesehen – bei der CS bewusst weggeschaut haben. Wie erklären Sie sich dieses Wegschauen?
Marc Chesney: Unter diesen Leuten scheint es ein Tabu zu sein, einer Grossbank näher auf die Finger zu schauen. Vielleicht spielt man lieber Golf zusammen mit der Führungsriege von CS. Es ist angenehmer, gewisse Themen zu vermeiden, als die katastrophale Lage der CS zu thematisieren. Dem breiten Publikum soll kein reiner Wein eingeschenkt werden. Doch jetzt ist diese systemrelevante Bank praktisch bankrott und es ist nicht mehr möglich, die Probleme zu leugnen. Es wird sich die Frage stellen, wie die Verantwortlichen im höchsten Management und im Verwaltungsrat rechtlich zur Verantwortung gezogen werden können.
Auch die akademische Welt ist verantwortlich. Die Lehre und die Forschung in Ökonomie und Finanzwesen sollten angepasst werden (siehe «Die ‹Uber-Files› und die akademische Korruption»).
Eine kritische Analyse der Lage ist seit langem von Nöten. Wenn akademische Professoren oder einzelne Universitätsinstitute von Grossbanken bezahlt sind, ist es gefährlich, denn sie könnten befangen sein.
Banken dürfen ein Zwanzigfaches an Geld ausleihen als sie selber Geld haben. Warnende Stimmen forderten seit langem, Grossbanken müssten ihr (ungewichtetes) Eigenkapital von heute rund 5 auf 25 Prozent der Bilanzsumme erhöhen und – bis dieses Ziel erreicht ist – keine Dividenden auszahlen. Hätte dies geholfen, die CS-Krise zu verhindern?
Sicher! Die aktuelle Lage beweist, dass die CS über zu wenig Eigenkapital verfügte.
Warnende Stimmen forderten nach 2008 zudem, dass Banken ihre Investment- und Geschäftstätigkeiten trennen und in verschiedenen Banken abwickeln. Hätte dies geholfen, die CS-Krise zu verhindern?
Ja klar. Die Finanz-Casino-Logik der Investmentgeschäfte ist gefährlich für die Gesellschaft und gefährlich für die Steuerzahler, die für die Risiken haften.
Sie kritisieren seit langem die riskanten Wettgeschäfte mit Casino-Charakter, welche Grossbanken auf eigene Rechnung betreiben. Hätte die Einschränkung solcher Wettgeschäfte geholfen, die CS-Krise zu vermeiden?
Ja. Diese Wetten erzeugen riesige Systemrisiken. Es geht dabei um die Spekulation mit Finanzderivaten. In Geschäftsberichten der Credit Suisse fand man die Nennwerte dieser Finanzderivate: das 36-Fache der Bilanzsumme von 2017, das 22-Fache der Bilanzierung 2020 beziehungsweise das 25-Fache des gesamten schweizerischen Bruttoinlandprodukts BIP (siehe auch «La faillite de Lehman Brothers et celle d’un système», Marc Chesney, Le Temps, 2018).
Diese Verhältniszahlen sanken zwar zwischen 2017 und 2020, aber waren nach wie vor gewaltig. Sie blieben ein wichtiger Bestandteil des Problems.
Es gibt ja Finanzprüfungsgesellschaften, welche die Risiken von Grossbanken jedes Jahr überprüfen. Warum schlugen diese nicht längst Alarm?
Offensichtlich arbeiten sie schlecht. Sie werden von den Banken, die sie analysieren sollen, direkt bezahlt, und zwar oft nicht zu knapp. Das führt zu Interessenkonflikten und Befangenheit. Eigentlich haben die Steuerzahler ein Recht darauf, dass die Banken, zu deren Rettung sie im Notfall beitragen müssen, einer seriösen Lagebewertung unterzogen werden. Das ist nicht der Fall.
Dann bleibt doch noch die unabhängige staatliche Finma als Aufsichtsbehörde. Warum konnte diese das CS-Debakel nicht verhindern?
Die Finma wollte offensichtlich nicht zu gründlich hinschauen.
Der Postfinance erlaubte das Parlament nicht, Kerngeschäfte einer Bank wie beispielsweise Hypotheken unabhängig von anderen Banken anzubieten und Kredite zu vergeben. Als Begründung erklärten namentlich bürgerliche Parlamentarier, die Post als Staatsbetrieb profitiere von einer Staatsgarantie und wäre deshalb im Wettbewerb mit anderen Banken bevorteilt. War dieses Argument angesichts der CS-Krise scheinheilig?
Auch systemische Banken wie CS oder UBS verfügten beziehungsweise verfügen über eine faktische Staatsgarantie.
Die CS-Manager erhielten regelmässig riesige Boni. Die Öffentlichkeit konnte daraus schliessen, dass die Manager und der Verwaltungsrat eine ausgezeichnete Arbeit machten. Wie konnte es trotzdem zur Krise kommen?
Die Boni wurden eben ausbezahlt, obwohl die Leistungen miserabel waren. Der Wert der CS-Aktien, den die Verantwortlichen als wichtigsten Leistungs-Massstab beschwören, war seit Juli 2007 bis zum 17. März 2023 auf etwa zwei Prozent des damaligen Wertes zusammengebrochen. Es muss deshalb einleuchten, dass die genannten Vergütungen durch nichts zu rechtfertigen und nachgerade skandalös sind. Das höchste Management erhielt Anreize, immer mehr Risiken einzugehen, konnte Gewinne privatisieren und Verluste sozialisieren.
CS als Goldesel für erfolglose Manager
Brady Dougan, der die Bank zwischen 2007 und 2014 leitete, erhielt eine Vergütung von etwa 160 Millionen Franken, während der Börsenkurs im gleichen Zeitraum um 70 Prozent fiel. Sein Nachfolger Tidjane Thiam bezog in viereinhalb Jahren rund 64 Millionen Franken. Gleichzeitig sank der Aktienkurs um weitere 40 Prozent. Der im Anschluss tätige CEO Thomas Gottstein verdiente im Jahr 2021 3,8 Millionen Franken trotz der Kosten, die der Bank durch zweifelhafte Geschäfte sowohl mit dem Greensill als auch mit Archegos-Fonds entstanden waren. Urs Rohner, Leiter des Verwaltungsrats zwischen 2011 und 2021 hat während dieser Periode rund 41 Millionen Franken erhalten.
Längst fällige 14 Massnahmen
Was wäre vorzukehren, um das Risiko von Grossbanken-Pleiten, welche die reale Wirtschaft gefährden, künftig auszumerzen?
Notwendige Massnahmen habe ich bereits vor zehn Jahren auch auf Infosperber aufgezählt. Keine davon sind seither umgesetzt worden. Sie drängen sich immer noch auf, damit die Märkte wieder normal funktionieren:
- Die Eigenkapitalanforderungen für Banken sollten mindestens 20% bis 30% betragen.
- Die Banken sollten im Rahmen eines Trennbankensystems in Investment- und Geschäftsbanken aufgetrennt werden, wie dies durch den Glass-Steagall Act von 1933 während Jahrzehnten der Fall war und womit durchaus eine gewisse ökonomische Stabilität gewährleistet werden konnte.
- Die Finanzprodukte sollten, bevor sie auf den Markt kommen, zertifiziert werden, so wie dies bei anderen Produkten der Fall ist, wie zum Beispiel im Industrie-, Nahrungs- und Pharmasektor. Die Finanzüberwachungsbehörden sollten für die Vergabe solcher Zertifikate verantwortlich sein. Auf diese Weise würde die Verbreitung «giftiger» Produkte begrenzt.
- Die Verbriefungs-Praktiken sollten eingegrenzt werden.
- Die Verbreitung «giftiger» Produkte sollte ein Finanzdelikt darstellen, so wie es in allen anderen Wirtschaftszweigen der Fall ist oder zumindest sein sollte. Es würde sich um eine Straftat handeln, welche die wirtschaftliche und finanzielle Sicherheit verletzt.
- Das riesige Volumen von Derivaten erzeugt Systemrisiken für die Wirtschaft. Es sollte kontrolliert und drastisch reduziert werden. So könnte man vermeiden, dass die Absicherung bestimmter Produkte zu Wetten auf den Zusammenbruch von Unternehmen werden. Das ist bei den Kreditderivaten Credit Default Swaps oder CDS der Fall. Die meisten sichern keine Risiken ab, sondern sind reine Wettgeschäfte.
- Der Kauf eines CDS sollte das Halten eines darauf basierenden Wertschriftentitels voraussetzen, der gegen Verlust abgesichert werden soll.
- Die Aktivitäten von Hedge-Fonds oder von Private-Equity-Fonds sollten kontrolliert werden.
- Für die Führungskräfte von Banken sollten die Entschädigungssysteme auf der Grundlage von Bonuszahlungen durch Systeme ersetzt werden, die auch wirkliche Bestrafungen (malus) beinhalten. Heute sind es Aktienoptionen und hohe Abfindungen, die den Anreiz zum Eingehen von Risiken schaffen, die letztendlich von anderen Teilen der Gesellschaft getragen werden: von Aktionären, Kunden, Arbeitnehmern, Rentnern und schliesslich von den Steuerzahlenden.
- Die Effektivität des Risikomanagements und des Risiko-Controllings der Banken sollte stark verbessert werden. Boni für Risiko-Controller wären viel nützlicher als solche für Händler.
- Eine Mikrosteuer auf allen elektronischen Zahlungen sollte eingeführt werden. Es geht nicht nur darum, dem Staat mehr Geld zukommen zu lassen, sondern darum, die Spekulation und die Volatilität durch Verteuerung einzudämmen. Wettgeschäfte mit High Frequency Trading würden dadurch begrenzt. (Siehe Dossier Mikrosteuer auf alle Geldflüsse.)
- Die Grösse der Banken sollte begrenzt werden. Das Problem des «too big to fail» ist gefährlich, weil es falsche Anreize erzeugt. Finanzinstitute gehen Risiken ein, ohne deren Konsequenzen tragen zu müssen, weil der Steuerzahler im Notfall zur Kasse gebeten wird. Es handelt sich dabei um eine Gratisversicherung auf Kosten der allgemeinen Bevölkerung statt auf Kosten der Verantwortlichen.
- Rating-Agenturen sollten unter öffentlicher Kontrolle stehen, weil ihre Macht der demokratischen Funktionsweise der Staaten schadet. Die 2008-Finanzkrise hat gezeigt, dass sie gescheitert sind, da sie Zombi-Banken mit guten Noten bewertet haben. Sie wurden von diesen Geschäftsbanken dafür gut entlöhnt.
- Der Inhalt des Unterrichts in Volkswirtschaftslehre und Finance muss gründlich überprüft werden.
Last but not least verlangt die Implementierung dieser Vorschläge Mut und klare Visionen von den verantwortlichen Politikern.
Danke, Herr Professor Chesney, für das Interview.