25. April 2021
| InfosperberDas Risiko des CS-Finanzcasinos tragen die Steuerzahlenden
«Wir brauchen Manager, die nicht Casino spielen und mit einer Million zufrieden sind», sagt Finanzprofessor Marc Chesney.
In einem zwanzigminütigen Interview mit Inside Paradeplatz sprach Marc Chesney, Finanzprofessor an der Universität Zürich, ungewöhnlichen Klartext. Für die Infosperber-Lesenden zitieren wir wörtlich und nur unwesentlich gekürzt das Interview. Nur die Reihenfolge einzelner Passagen ist zur besseren Verständlichkeit verändert.
«Dubiose Geschäfte mit gewissen Hedge Funds»
Das Muster wiederholt sich. Die Credit Suisse steht für eine neue Episode der permanenten Krise der Finanzcasino-Wirtschaft. Eine Grossbank, in diesem Fall die Credit Suisse, macht komplexe, undurchsichtige, sogar dubiose Geschäfte mit gewissen Hedge Funds. Diese zeichnen sich aus durch
- Leverage, d.h. Schulden;
- Derivate, d.h. Wetten;
- groteske Entlöhnungen;
- eine gewisse Arroganz von Leuten, die überzeugt sind, dass sie cleverer sind als die anderen.
Die Grossbanken handeln wie ein Lastwagen, der mit toxischen Produkten immer schneller durch den Nebel fährt. Irgendwann wird der Lastwagen explodieren. Die Lage gerät mit riesigen Verlusten ausser Kontrolle. Am Schluss zahlen die Steuerzahlenden und die [Bank-]Kunden die Rechnung. Es geht dabei nur um die dreissig grössten Banken der Welt, zwei davon mit Sitz in der Schweiz.
Eigentlich müssten diese Grossbanken Milliarden zahlen, um ihre Risiken zu versichern. Doch sie sind [gegen Verluste] gratis versichert. Sie sind «too big to fail», so dass die Steuerzahlenden die Risiken tragen. Man fragt diese [im Eintretensfall] nicht einmal, ob sie einverstanden sind.
Diese Grossbanken verstossen gegen ein Grundprinzip des Liberalismus: Wer Risiken eingeht, soll die Folgen der Risiken tragen. Doch die dreissig Grossbanken haben falsche Anreize, um immer mehr Risiken einzugehen – auf Kosten der Gesellschaft. Weil die Steuerzahlenden das [Bankrott]-Risiko tragen, hätten sie ein Recht darauf, informiert zu sein. Sie werden jedoch erst informiert, wenn es zu spät ist. [Denn] das Finanzcasino ist eine Blackbox.
«Die CS hat nur etwa 0,1 Prozent aller Derivate zu Absicherungszwecken verwendet»
Derivate sind nützliche Finanzprodukte, um sich gegen Währungsrisiken abzusichern. Aber dafür braucht es in der Schweiz nicht Derivate mit einem Nominalwert, der dem 26’000-Fachen des Bruttoinlandprodukts entspricht. Ein Volumen von bis zur Hälfte des BIP wäre normal. Dem CS-Jahresbericht ist zu entnehmen, dass bei dieser Bank nur 0,1 Prozent der Derivate Absicherungsgeschäfte sind. Bei den restlichen 99,9 Prozent der Derivate handelt es sich um Wetten.
Wenn wir heute eine Wette von 100 CHF darüber abschliessen, wie das Wetter morgen sein wird, besteht kein Systemrisiko. Wenn aber ein Finanzinstitut wie Lehman Brothers im Jahr 2008 ihre Wetten verliert und pleite geht, verlieren weltweit 30 Millionen Menschen ihre Arbeit und Millionen von Leuten müssen ihre Wohnung aufgeben usw.
In Zeiten der Corona-Krise, während der sich Ärzte und Pflegende physisch aufopfern, gibt es Hedge Funds, die Unternehmen und sogar Länder identifizieren, die in finanzielle Probleme geraten wie beispielsweise Hotels, und dann [auf deren Pleite] wetten. Wer solche unsinnigen Produkte verkauft, erzeugt Systemrisiken für die ganze Wirtschaft.
«Es lockt das schnelle Geld»
Solche Wettgeschäfte betreiben Grossbanken, weil sie rasch sehr viel Geld verdienen können – wenn es gut geht. Und wenn es schiefgehen sollte, dann kommen die Steuerzahlenden zur Kasse. Das schnelle Geld lockt die Banken und ihre CEOs. Nehmen wir das Beispiel von Brady Dougan. Er war acht Jahre lang CEO der CS. In diesen acht Jahren ist der Kurs der CS-Aktie um 70 Prozent gefallen, doch er hat [in dieser Zeit] rund 160 Millionen Franken erhalten.
Sein Nachfolger Tidjane Thiam blieb etwa viereinhalb Jahre. Der Kurs der CS-Aktie fiel um 40 Prozent. Thiam erhielt für diese Zeit rund 70 Millionen Franken.
Ich frage mich [Chesney lächelt vor der Pointe], ob diese Leute statt mit Kaufoptionen auf CS-Aktien etwa mit Putoptionen [Verkaufsoptionen] entschädigt worden sind. [Mit solchen Optionen hätten sie ein Interesse gehabt, dass die Aktienkurse der CS fallen.]
«Bessere Manager für eine Million»
Vor fünfzig Jahren gab es Bank-Manager, die damals eine halbe Million Franken verdienten was heute etwa einer Million entspricht. Heute werden Chefs von Grossbanken wie Fussballstars entschädigt. Sie bleiben ebenfalls nur einige Jahre, wechseln von Ort zu Ort und häufig sprechen sie nicht einmal die Sprache des Landes.
Die hohen Entschädigungen werden heute häufig damit gerechtfertigt, dass man die Besten bekommen wolle. Doch diese «Besten» bescherten [den Grossbanken] riesige Verluste. Also sind es nicht die Besten.
Wir brauchen Manager, die vernünftiger sind, zufrieden mit einer Million, langfristig denken und nicht Casino spielen. Manager, die nicht zufrieden sind mit einer Million, sind keine geeigneten Manager.
Mit Mikrosteuer Sand ins Getriebe bringen
Es ist heute kontraproduktiv, die Arbeit und den Konsum zu besteuern. Eine Mikrosteuer von 0,1 Prozent auf allen elektronischen Zahlungstransaktionen würde etwas Sand ins Getriebe des Finanzsektors bringen und jährliche Einnahmen von rund 100 Milliarden Franken erzeugen. Mit 47 Milliarden davon kann man die bürokratische Mehrwertsteuer, die Bundessteuer und die Stempelsteuer ersetzen. Mit den restlichen Milliarden kann man alle diejenigen finanziell unterstützen, die unter der Corona-Krise leiden – und dies, ohne weitere Schulden zu machen!
Eine Familie mit einem Einkommen von 100’000 Franken müsste mit dieser Steuerreform zwischen 4000 und 5000 Franken weniger Steuern zahlen. Die entsprechende Volksinitiative kann auf unserer Webseite mikrosteuer.ch eingesehen und unterschrieben werden. [Marc Chesney ist Mitinitiant dieser Volksinitiative.]
Marc Chesney, Live-Interview auf Inside Paradeplatz vom 23.3.2021