28. Oktober 2022
| watsonDie Credit Suisse ist eine ‹Bad Bank›
Warum Ex-CS-Präsident Urs Rohner seine Boni zurückzahlen und der Steuerzahler im Verwaltungsrat vertreten sein sollte, erklärt Finanzprofessor Marc Chesney im Interview.
Herr Marc Chesney, der Schweizerische Bankpersonalverband forderte am Donnerstag, dass Ex-CS-Präsident Urs Rohner und seine Entourage ihre Boni zurückzahlen. Sie hätten die Credit Suisse (CS) in eine «verheerende Situation manövriert». Was sagen Sie dazu?
Marc Chesney: Aus moralischer und wirtschaftlicher Sicht ist das eine berechtigte Forderung. Urs Rohner war von 2011 bis 2021 Verwaltungsratspräsident und hat in diesen zehn Jahren über 40 Millionen Franken verdient. Der Aktienkurs der CS sank unter ihm um 70 Prozent. Sein Präsidium war geprägt von Verlusten, Skandalen und Bussen. In Anbetracht dessen sind solche Summen nicht gerechtfertigt.
Ex-UBS-Chef Oswald Grübel hat 2009, als die Bank Verluste verzeichnete, und 2010 auf seinen Bonus verzichtet und sich mit seinem 3 Millionen Franken Fixgehalt begnügt.
Das ist das Mindeste, was man als Manager machen kann, wenn das Geschäft nicht gut läuft.
Grübel bleibt das einzige Beispiel bisher. In einer seiner Kolumnen schrieb er, keine Bank werde künftig weiter hohe Vergütungen bezahlen können, wenn der Gewinn nicht entsprechend steige. Der Prozess habe schon angefangen und werde sich weiter beschleunigen.
Wann hat er das geschrieben?
Vor zehn Jahren. War er zu optimistisch?
Nun, es hat sich seither nichts geändert.
In einem Interview mit «The Onliner» wurde Grübel gefragt, warum sein Beispiel keine Schule gemacht habe. Er antwortete: «Weil wir Menschen gerne mehr anstatt weniger bezahlt bekommen wollen.»
Das Grundprinzip des Liberalismus lautet: Diejenigen, die Risiken eingegangen sind, sollen auch dafür haften. Das Management der CS predigt zwar diese Werte, praktiziert sie aber nicht.
Wie sollte die Boni-Politik der CS aussehen, um der gegenwärtigen Situation gerecht zu werden?
Erstens macht es keinen Sinn, Boni zu zahlen, wenn es Verluste gibt. Der Bonus ist der Definition nach eine zusätzliche Zahlung, die üblicherweise an die Erfüllung von Unternehmenszielen geknüpft ist. Es ist – eigentlich – eine leistungsorientierte Vergütung. Zweitens sollten die Boni stets vernünftig sein. Eine systemische Bank wie die CS hat nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten.
Und die wären?
Bei einer Bank wie der CS, die «too big to fail» ist, sind es die Steuerzahler, welche die Kosten und Konsequenzen tragen, wenn etwas schiefläuft. In einer Demokratie sollten diese darum im Verwaltungsrat vertreten sein – und so die Boni mitbestimmen.
Gibt es bereits Beispiele, wo Steuerzahler im Verwaltungsrat vertreten sind?
Soweit ich weiss nicht.
In einem Artikel in «Le Temps» schreiben Sie, die Talfahrt der CS sei keine Überraschung. Warum nicht?
Die CS spielt Finanzcasino mit dem Geld der Steuerzahler. Sie schliesst Wetten ab, die sie im Ernstfall nicht decken kann. Die Zahlen sind seit Langem bekannt. Sie stehen, zum Beispiel, in den Jahresberichten der CS. 2020 waren die Nominalwerte der Derivate 20 Mal höher als die Bilanzsumme der Bank und 25 Mal höher als das BIP der Schweiz. Eine Tendenz, die sich schon in den vorausgehenden Jahren abgezeichnet hat.
Und trotzdem scheinen Analysten und Akademiker – bis auf wenige Ausnahmen – nicht alarmiert.
Gewisse Akademiker lassen sich lieber von den Grossbanken bezahlen, als sie kritisch zu analysieren. Dabei sind sie bereits von den Steuerzahlern bezahlt, um unabhängig zu bleiben, um Probleme zu benennen und Lösungen zu finden. Hier sind wir mit einem Interessenkonflikt konfrontiert, der dazu führt, dass diese Personen schweigen statt sprechen.
Das hört sich nach einer korrupten Angelegenheit an.
Es gibt auch andere Fälle. Ein Beispiel für die Korruption in akademischen Kreisen sind die ‹Uber Files›. Diese deckten auf, dass renommierte Finanz- und Wirtschaftsprofessoren in Frankreich und Deutschland 2016 für Uber lobende Berichte verfasst – und für diese Lobbyarbeit pro Kopf 100'000 Euro erhalten hatten.
Am Donnerstag hat die CS ihre neue Strategie präsentiert. Ihre Einschätzung?
Es ist heisse Luft.
Vertrauen ist die wichtigste Währung für eine Bank. Wie kann die CS dieses wiederherstellen?
Wenn man im Dunkeln immer schneller fährt, kommt es irgendwann zum Crash. Wichtig wäre, die Karten transparent auf den Tisch zu legen. Das macht die CS nicht. Was die Zukunftsfähigkeit der Bank zudem fördern könnte, ist, wenn sie in Umwelt und Nachhaltigkeit investiert. Auch das tut die CS nicht.
Im Gegenteil. Am Donnerstag wurde vor dem Hauptsitz der CS auf dem Paradeplatz in Zürich demonstriert, weil die Bank in Mexiko und in den USA den klimaschädlichen Gewinn von Fracking- und Flüssigerdgas finanziert.
Ja, wie andere Grossbanken vergibt die CS weiterhin Kredite an Öl- und Gasunternehmen. Das ist unverantwortlich und widerspricht dem Pariser Klimaabkommen.
Die heisse Luft der CS, von der Sie sprachen, macht sozusagen unser Klima kaputt.
Die CS ist wirklich eine «Bad Bank». (lacht)
Marc Chesney ist Finanzprofessor an der Universität Zürich und Autor des Buches «Die permanente Krise». Er vertritt einen kritischen Standpunkt gegenüber Grossbanken.