28. November 2022
| Tages-AnzeigerDie Vergütungen der verantwortungslosen CS-Chefs sind skandalös
Irgendjemand werde für die Entgleisungen der Credit Suisse bezahlen müssen, meint Marc Chesney, Professor am Institut für Banking and Finance der Universität Zürich.
Der aktuelle Absturz von Credit Suisse (CS) kommt alles andere als überraschend. Seit Jahren ist der Werdegang dieser Bank mit wiederholten Skandalen und Verlusten verbunden sowie mit einer Geschäftsführung, die nicht nur keine klare Ausrichtung vorgegeben, sondern schamlos von der Situation profitiert hat.
Mitglieder des Topmanagements und des Verwaltungsrats der CS haben in den letzten 15 Jahren Vergütungen von etwa 1,6 Milliarden Franken erhalten. Der Aktienkurs fiel dagegen über 90 Prozent.
Rechtfertigen die «Leistungen» dieser «Führungsverantwortlichen» solche astronomischen Gehälter?
Die Antwort auf diese legitime Fragestellung müsste für die Mitarbeitenden dieser Bank, ihre Kundinnen, die Steuerzahler und ganz allgemein die Bürgerinnen eigentlich von Interesse sein, also für all diejenigen, die am Ende die durch unkontrollierte Entgleisungen und fragwürdige Finanzkonstrukte aufgelaufene Rechnung in irgendeiner Form werden bezahlen müssen. Der gesunde Menschenverstand reicht vollkommen, um die Frage zu beantworten.
Der Wirtschaftsliberalismus, auf den sich all diese Führungskräfte so gerne berufen, geht davon aus, dass die Bezahlung abhängig von Arbeitsproduktivität und Leistung ist. Wenn nun beides seit so langer Zeit rückläufig ist, wenn die Aktie, die von den Verantwortlichen als absoluter Massstab ständig geradezu beschworen wird, derart an Wert verloren hat, dann ist doch einleuchtend, dass die genannten Vergütungen durch nichts zu rechtfertigen und nachgerade skandalös sind. Sich schamlos auf Kosten anderer zu bereichern und mit Steuergeldern zu zocken, verstösst eindeutig gegen Grundprinzipien des Liberalismus.
Das Topmanagement merkt nach Jahren am Spieltisch, dass die Einsätze verspielt wurden und die Taschen leer sind.
In den 80er-Jahren war die breite Beteiligung der CS an der Investmentbank First Boston ein Einstieg in die Welt des Finanzcasinos mit ihren Wetteinsätzen im grossen Stil und ihren komplexen Finanzprodukten, den Derivaten, die die schnelle Anhäufung von Profiten garantieren und so die extravaganten Entlöhnungen der Geschäftsleitungen rechtfertigen sollten.
Heute stehen wir am Ende eines Zyklus, mit einem Topmanagement, dessen Rausch noch nicht vollständig verflogen ist und das jetzt, nach Jahren am Spieltisch, merkt, dass die Einsätze verspielt wurden und die Taschen leer sind.
Wie zahlreiche Finanzanalysten, Auditoren, die Politik, Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler bewusst weggeschaut haben, ist beunruhigend. Schaut man sich die Geschäftsberichte der CS genau an, findet man dort die Nennwerte dieser Finanzderivate: das 22-Fache der Bilanzierung 2020 bzw. das 25-Fache des schweizerischen Bruttoinlandprodukts. Diese Verhältniszahlen sind seit langem gewaltig.
Wenn man von den Banken, die man analysieren soll, Honorare bezieht, dann führt das offensichtlich zu Interessenskonflikten. Und trotzdem hat der Steuerzahler ein Anrecht darauf, dass die Banken, zu deren Rettung er im Notfall beitragen muss, einer seriösen Lagebewertung unterzogen werden.
Abschliessend sei noch darauf hingewiesen, dass die CS sich an zahlreichen Netzwerken der sogenannten nachhaltigen Finanzwirtschaft beteiligt. Jede Wette, dass das Finanzkasino in Zukunft seine Einsätze auf einen Tapis schiebt, dessen grüne Farbe für Nachhaltigkeit zu stehen scheint!