Mai 2016
| HandelszeitungDas Grundeinkommen wäre in der Schweiz umsetzbar
Bekannte Personen aus Politik, Wirtschaft und Kultur haben sich zum bedingungslosen Grundeinkommen geäussert. Fünf Befürworter und Gegner im Überblick. (Zitate teilweise aus dem Buch «Was fehlt, wenn alles da ist?» von Mitinitiant Daniel Häni und Philosoph Philip Kovce)
Die Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen läuft auf Hochtouren. Der Zürcher Finanzprofessor Marc Chesney will dafür stimmen. Er hält die Idee für realisierbar - unter einer Bedingung.
Herr Chesney, die grossen Schweizer Parteien haben sich gegen das bedingungslose Grundeinkommen ausgesprochen - wie werden Sie abstimmen?
Marc Chesney: Ich finde, dass ein Grundeinkommen nützlich wäre. Deswegen werde ich dafür stimmen. Allerdings bin ich kein bedingungsloser Befürworter.
Wieso wäre es nützlich?
Marc Chesney: Wie auch am World Economic Forum in Davos analysiert wurde, wird es künftig immer mehr Roboter und Computer in der Produktion geben. Die fortschreitende Automatisierung und Digitalisierung gefährden Millionen Arbeitsplätze weltweit. Wenn die Produktivität steigt, sollte das in einer gut organisierten Gesellschaft Freizeit erzeugen. Heute jedoch führt dies weltweit entweder zu Arbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung - vor allem weil das Wirtschaftswachstum im Verhältnis zur Steigerung der Produktivität oft nicht ausreichend ist. Es handelt sich um das Paradoxon einer immer produktiveren Gesellschaft, die zur selben Zeit Armut erzeugt. Eine zivilisierte und demokratische Gesellschaft muss Lösungen für dieses Problem finden. Sonst ist sie in Gefahr.
Können Sie dieses Paradoxon verdeutlichen?
Marc Chesney: Durch die höhere Produktivität entsteht eine wachsende Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage. Das Angebot wird durch die Automatisierung immer effizienter werden, aber die Nachfrage wird gleichzeitig leiden. Soweit ich weiss gehen Roboter nicht ins Restaurant, ins Kino oder in die Ferien. Sie verbrauchen nichts ausser einer grossen Menge Energie. Arbeitslose oder Unterbeschäftigte würden gerne mehr konsumieren, können aber nicht. Hier brauchen wir kreative Ideen und das Grundeinkommen wäre eine gute Lösung, um dieses Paradoxon zu lösen.
Dennoch sind Sie kein bedingungsloser Befürworter eines Grundeinkommens - was ist Ihre Bedingung?
Marc Chesney: Ich halte ein Grundeinkommen in der Schweiz zwar für umsetzbar für Schweizer Bürger und Bürger mit C-Ausweis. Ohne die richtige Finanzierung ist das Projekt aber schwach. Der Bund hat berechnet, dass es circa 200 Milliarden Franken brauchen würde, um das Grundeinkommen zu finanzieren. Ich finde es falsch, diese Summe durch eine höhere Mehrwertsteuer, wie es die Initianten vorschlagen, eintreiben zu wollen. Es gibt schon genug Steuern. Ich finde die Idee einer Mikro-Steuer deutlich überzeugender.
Wie würde eine solche Mikro-Steuer funktionieren?
Marc Chesney: In der Schweiz werden pro Jahr elektronische Bezahlungen im Wert von circa 100'000'000'000'000 Franken getätigt. Nicht nur beim Kauf und Verkauf von Aktien oder Anleihen, sondern auch beim Bezahlen im Restaurant, beim Geld abheben oder beim Online-Banking. Die Summe, die über solche Transaktionen bewegt wird, entspricht etwa 160 Mal dem Bruttoinlandprodukt (BIP) der Schweiz. Wenn der Staat von dieser riesigen Summe 0,2 Prozent besteuern würde, hätte er bereits 200 Milliarden Franken eingenommen – das ist mehr als der gesamte Steuerertrag der Schweiz, inklusiv der Mehrwertsteuer. Dieser Vorschlag stammt vom Zürcher Finanzunternehmer Felix Bolliger.
Um das Grundeinkommen zu finanzieren, reicht der Ertrag aus einer Mikro-Steuer von 0,2 Prozent aber nur knapp.
Marc Chesney: Würde man diesen Steuersatz auf 0,4 Prozent erhöhen, könnte man theoretisch nicht nur fast alle anderen Steuern sowie die Steuerdeklaration abschaffen, sondern auch das Grundeinkommen finanzieren. Durch die Besteuerung der elektronischen Transaktionen könnten die Steuern automatisch bezahlt und das Grundeinkommen finanziert werden.
Alle würden unter der Mikro-Steuer mit dem gleichen Steuersatz besteuert werden. Ist das gerecht?
Marc Chesney: Es stimmt, dass jeder Bürger 0,2 Prozent Steuern pro Transaktion bezahlen würde. Aber diejenigen, die sehr reich sind und ein grosses Finanzportfolio besitzen, tätigen proportional mehr Transaktionen als die anderen. Besitzer von grossen Portfolios handeln häufig auf den Finanzmärkten. Sie werden also proportional mehr Steuern zahlen. Dadurch entsteht eine natürliche Progression. Für andere Menschen, die weniger konsumieren und weniger Finanzgeschäfte tätigen, wäre das Leben mit der Mikro-Steuer viel billiger als zur Zeit.
Würde eine solche neue Steuer für Konzerne mit vielen grossen Transaktionen nicht abschreckend wirken?
Marc Chesney: Vermutlich würden ein paar Hedgefonds ins Ausland abwandern. Insbesondere diejenigen, die Hochrisiko-Geschäfte betreiben. Gleichzeitig kann man mit so einer Steuer aber auch neue Unternehmen anlocken. Diese werden feststellen, dass die Schweiz ein stabiles und effizientes System bietet - dank Mikro-Steuer mit tieferen Steuern und weniger Bürokratie. In der Tat, mit einer Mikro-Steuer wäre theoretisch keine Steuererklärung mehr nötig. Die Schweiz würde so mehr auf die Realwirtschaft und weniger auf Finanzcasinos setzen. Das sollte Stabilität bringen.
Gegner befürchten, dass ein Grundeinkommen auf die Arbeitsmoral der Arbeitenden und damit auf die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz schlagen könnte. Sehen Sie da ein Problem?
Marc Chesney: Ja, man sollte sowohl schlechte Konsequenzen auf die Arbeitsmoral als auch Missbrauch vermeiden. Wenn ein Grundeinkommen schlecht organisiert ist, könnte es falsche Anreize erzeugen. Z.B. strich Brady Dougan während seiner acht Jahre als CEO der Credit Suisse circa 20 Millionen Franken pro Jahr ein. In dieser Zeit brach die CS-Aktie um über 70 Prozent ein. Ausserdem musste die Bank 2014 in den USA eine riesige Busse von 2,8 Milliarden Dollar bezahlen. Für Brady Dougan war der Millionenverdienst also im Prinzip eine Art bedingungsloses Grundeinkommen: Trotz einer besonders schlechten Performance und einem massiven Verlust für die Aktionäre, hat er diese riesige Entlohnung erhalten. Solch eine Art bedingungsloses Einkommen ist tatsächlich problematisch für die Arbeitsmoral der anderen Mitarbeiter und generell für die Gesellschaft.
Werden wir also alle faul und unproduktiv?
Marc Chesney: Nein, ein vernünftiges und angemessenes bedingungsloses Grundeinkommen sollte Arbeitnehmern Anreize setzen, weiterhin zu arbeiten. Diese Ergänzung sollte den bisherigen Lohn erweitern oder die Möglichkeit bieten, eine Weiterbildung zu machen, um in der Zukunft einen interessanteren Beruf auszuüben. Ausserdem sollte es denjenigen, die eine bedeutende Leistung für die Gesellschaft erbringen und nicht dafür entlöhnt werden, ein Leben in würdigeren Bedingungen ermöglichen. Dies betrifft etwa Mütter, die Arbeit für die Familie und die Gesellschaft leisten. Hausarbeit wird bis jetzt nicht finanziell entschädigt.
Welche Berufsgruppen könnten sonst von einem Grundeinkommen betroffen sein?
Marc Chesney: Jene, in denen die Leistung der Berufstätigen wesentlich, ihre Produktivität aber schwierig zu messen und nicht immer relevant ist. Wie sollen Krankenschwestern zum Beispiel produktiver werden? Ihre Patienten, insbesondere im Fall der palliativen Pflege, brauchen Zeit. Ein anderes Beispiel ist der Künstler, für den die Kreativität wichtiger ist als die Produktivität. Auch für die Opfer der Automatisierung wird das bedingungslose Grundeinkommen eine Lösung sein, also für all jene, die repetitive und dadurch oft langweiligere Arbeiten ausführen - hier ist die Produktivität besonders messbar. Dies trifft etwa auf die Produktion von Industriegütern zu. Hier werden in Zukunft immer mehr Roboter eingesetzt.