Kritische Analyse des Finanzsektors

07. April 2023

| Inside Paradeplatz

Credit Suisse: Die Party ist vorbei

Die Lichter sind aus: Für die Credit Suisse ist die Party vorbei.

Geschäftsleitung und Verwaltungsrat verlassen vorübergehend den grünen Filzteppich der Casino-Finanzwelt, mit ernsten Mienen, vollen Taschen und leichtem Herzen.

Bedauern und Entschuldigungen aus gegebenem Anlass sind angebracht.

Sie hätten ihr Bestes gegeben, dafür seien sie schliesslich auch fürstlich bezahlt worden, und davon können Sie sich überzeugen, geschätzter Leser:

Einzig Pech, Gerüchte und sogar Verschwörungen aus dem Ausland hätten ihr Geschäftsmodell, ihr geschicktes Risikomanagement und die Fähigkeit, das „Vertrauen der Finanzmärkte zurückzugewinnen“, zunichte gemacht.

Denn genau das ist es, was uns in letzter Zeit bis zum Abwinken wiederholt wird:

Dieses Vertrauen zurückzugewinnen, an dem es zuletzt so sehr gemangelt habe, und dessen Abwesenheit uns manchmal den Schlaf raubt.

Das sei das Wichtigste und der Grund dafür, warum enorme Summen investiert werden.

Das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen, indem man sie vor den Auswüchsen der Finanzwelt und ihren Pokerspielern schützt, steht offensichtlich nicht auf der Tagesordnung.

Blicken wir auf den zeitlichen Ablauf der Ereignisse zurück.

Rund 35 Jahre Casino-Finanz:

Die Übernahme der First Boston durch die CS im Jahre 1988 besiegelte den Aufstieg der Bank in die Liga der Casino-Finanzwelt mit Wetten im grossen Stil.

Ein Wandel des Geschäftsmodells zeichnete sich ab. Anstatt sich zufrieden zu geben, die Zinsen der gewährten Darlehen einzustreichen, wollte man sich auf das Geschäft der Fusionen & Akquisitionen sowie auf das Derivate-Geschäft konzentrieren, die in riesigen Handelssälen abgewickelt wurden.

Das Augenmerk dabei lag auf der schnellen Erwirtschaftung enormer Profite. Da Verluste letztendlich vom Steuerzahler getragen wurden, stieg das neue Geschäftsmodell zur Referenz für die Grossbanken auf, darunter auch die CS.

15 Jahre bewusste Blindheit:

Die Finanzkrise von 2008 im Allgemeinen und der Bankrott der Bank Lehman Brothers im Besonderen haben den sterbenden und schädlichen Charakter dieses Modells deutlich gemacht.

Der Cocktail aus komplexen und toxischen Finanzprodukten, enormer Verschuldung und grotesken Vergütungen für die Manager der Finanzinstitute und ihre Trader sowie grenzenlosem Zynismus führten das System an den Rand des Kollaps.

Dennoch wandten Politiker und Akademiker aus Finanz- und Wirtschaftswissenschaften mehrheitlich verschämt den Blick ab und vergassen dabei, ihre Pflicht als Interessenvertreter von Steuerzahlern und Bürgern wahrzunehmen.

So konnte die zügellose Finanzwelt weiter ungehindert ihrem Geschäft nachgehen, zum grössten Vergnügen ihrer Lobbyisten.

In meinen Artikeln hatte ich bereits auf diese Probleme hingewiesen. „Lehman Brothers: der Bankrott einer Bank und derjenige eines Systems“ (NZZ) im 2018.

Und 2022: „Die Credit Suisse oder das Debakel von Casino Suisse“ (Infosperber), „Das Problem ist die Finanz-Casino-Mentalität“ (Tages-Anzeiger) sowie „Die Vergütungen der verantwortungslosen CS-Chefs sind skandalös“ (Tages-Anzeiger).

Allein im Jahre 2020 betrug der Nennwert dieser komplexen Finanzprodukte, auch Derivate genannt, bei der CS rund das 25-Fache des schweizerischen Bruttoinlandsprodukts.

Eine Woche Panik:

Vom 13. bis 19. März 2023 herrschten Verwirrung und Panik, mit dieser Versicherung vom 15. März seitens der Schweizerischen Nationalbank SNB und der Aufsichtsbehörde Finma:

„Die Credit Suisse erfüllt die an systemrelevante Banken gestellten Anforderungen an Kapital und Liquidität“.

Was die Bank nur kurze Zeit nach dieser Erklärung nicht davon abhielt, trotzdem einen Kredit in Höhe von 50 Milliarden Franken zu beantragen, angeblich um die Finanzmärkte zu beruhigen.

Die beabsichtigte Beruhigung der Finanzmärkte hielt nur wenige Stunden an. 50 Milliarden erschienen wohl nicht beruhigend genug. Es musste mehr sein.

Zwei Tage zum Austüfteln einer Lösung:

Unter dem Druck der amerikanischen Regierung, die eine weitere Ausbreitung des in den USA durch den Konkurs der Silicon Valley Bank ausgelösten Dominoeffekts fürchteten, wurde am Wochenende des 18. und 19. März in aller Eile und Intransparenz eine Lösung ausgetüftelt.

Die CS wurde durch die UBS zu einem symbolischen Preis übernommen. Aufgrund der Berufung auf das Notrecht bleiben die wesentlichen Rechtshandlungen des Vertrags geheim.

Sämtliche seit 2008 eingeführten Regulierungen wurden ignoriert. Ein Koloss wurde geschaffen, der in Zukunft die Schweiz kontrollieren wird, statt von ihr kontrolliert zu werden.

Die Bilanzsumme dieser neuen UBS würde ungefähr das Zweieinhalbfache des schweizerischen BIP betragen, und der Nennwert ihre Derivate, das 30- bis 40-Fache dieser Summe.

90 Minuten wenig überzeugender Kommunikationsübungen:

Der letzte Akt dieser Farce, die zum Lachen anregen könnte, wenn sie nicht erbärmlich wäre, bestand darin, die Hauptdarsteller dieser Angelegenheit zusammenzubringen.

Dieselben, die noch wenige Tage zuvor erklärt hatten, die Lage der CS sei unter Kontrolle, um bei der Pressekonferenz vom 19. März zu erklären, dass diese Übernahme die beste Lösung für die Schweiz sei, um das Vertrauen der Finanzmärkte wiederherzustellen.

So handelt es sich über den Fall der CS hinaus auch um den Bankrott des Casino-Finanzsystems, dem Scheitern einer politischen Elite, die 15 Jahre lang tatenlos zugeschaut hat, und dem der akademischen Welt auf diesem Gebiet, die gegenüber den Finanzinstituten eine unangemessene Gefälligkeit an den Tag gelegt haben.

Die Bürger und Bürgerinnen müssen achtsam bleiben, denn sonst gehen Partys und Pleiten unvermindert weiter.

Dieser Artikel erschien am 27. März 2022 in der französischsprachigen Tageszeitung Le Temps.

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