Kritische Analyse des Finanzsektors

Januar 2018

| Tagblatt

Die Mikrosteuer gegen spekulative Blasen

Mit einer Steuer auf den elektronischen Zahlungsverkehr wollen Finanzprofessor Marc Chesney und eine Gruppe Gleichgesinnter gegen spekulative Blasen vorgehen. Die Volksinitiative soll nächstens lanciert werden.

Roger Braun

Grob gesagt, gibt es zwei Arten von Volksinitiativen. Die einen sind bescheiden in ihrem Anspruch. Sie wollen das Halten von Hornkühen fördern oder die Burka verbieten. Und dann gibt es die umstürzlerischen Initiativen, bei denen kein Stein auf dem anderen bleibt – zum Beispiel jene zum bedingungslosen Grundeinkommen oder zum Vollgeld.
Definitiv zur visionären Sorte gehört die Volksinitiative einer Gruppe rund um den Professor für Finanzwirtschaft und Banking der Universität Zürich, Marc Chesney. Sie fordern nichts an­deres als einen Komplettumbau des Schweizer Steuersystems. Abgeschafft werden sollen die Mehrwertsteuer sowie die direkte Bundessteuer, die heute fast zwei Drittel der Einnahmen des Bundes ausmachen. Im Gegenzug sollen Finanztransaktionen besteuert werden – und zwar nicht nur die Käufe und Verkäufe von Wertschriften, sondern sämtliche elektronischen Geldtransfers. Wer also einem Freund 500 Franken überweist oder Geld an einem Bancomaten bezieht, soll künftig einen Teil davon dem Steueramt abliefern müssen.

Initianten sehen Realwirtschaft gestärkt

Chesney erhofft sich damit eine Stabilisierung der Finanzmärkte. «Das Finanzsystem führt uns von Krise zu Krise, wir müssen es dringend anpassen», sagt der Genfer. Mit dem Vorschlag zielt er insbesondere auf spekulative Finanzgeschäfte, die in Mikrosekunden und vollautomatisch abgewickelt werden. «Wenn wir Finanztransaktionen besteuern, werden diese Geschäfte unattraktiver und es wird weniger spekulative Blasen geben», sagt Chesney. Daneben will der Finanzprofessor mit seinem Vorschlag auch Bürokratie abbauen. Die weitgehende Abschaffung der umständlichen Mehrwertsteuer würde die Firmen von Bürokratie befreien. «Die Unternehmen der Realwirtschaft würden nicht nur administrativ, sondern mit dem Wegfall der Gewinnsteuer des Bundes auch finanziell entlastet», sagt Chesney.
Im Initiativkomitee mit dabei ist mit Anton Gunzinger ein weiterer Professor. Er lehrt an der ETH Informationstechnologie und Elektrotechnik und führt ein Zürcher IT-Unternehmen. Ebenfalls mit von der Partie ist der ehemalige Vizebundeskanzler Oswald Sigg, der bereits bei der Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen mitmischte. Daneben engagieren sich der Vermögensverwalter Felix Bolliger sowie der Rechtsanwalt Jacob Zgraggen im Komitee.
Der Initiativtext wurde im November bei der Bundeskanzlei zur Prüfung eingereicht. Ziel der Initianten ist es, im Sommer loszulegen. Der Initiativtext ist bewusst offen gehalten: Wie hoch der Steuersatz angesetzt wird, entscheidet das Parlament bei der Umsetzung. Es kann den Satz auch Schritt für Schritt erhöhen. Die Initiative hält einzig fest, dass es sich um einen Betrag im nie­drigen Promillebereich handeln soll. Bei einem Transaktionsvolumen von jährlich 100 Billionen Franken in der Schweiz würde ein Steuersatz von 0,1 Prozent dem Bund jährlich 100 Milliarden Franken einbringen. «Wenn wir davon ausgehen, dass die Transaktionen durch die Besteuerung um die Hälfte zurückgehen, würde der Betrag gerade reichen, um die Mehrwertsteuer und die Bundessteuer abzuschaffen», sagt Chesney.
Banken warnen vor Finanzierungsproblemen
Wenig Freunde dürften sich die Initianten beim Schweizer Finanzplatz machen. Die Schweizerische Bankiervereinigung weist darauf hin, dass die Schweiz bereits eine Umsatzabgabe auf Wertschriften kenne. Diese sei heute schon ein Konkurrenznachteil für den Börsenstandort und das Vermögensverwaltungsgeschäft in der Schweiz, teilt er mit. Mit der Initiative würde die Finanzierung heimischer Unternehmen weiter erschwert und damit die Wirtschaft geschädigt.
Chesney hingegen sieht die Realwirtschaft durch den Bürokratieabbau und die Gewinnsteuersenkungen gestärkt. Einzig der Hochfrequenzhandel werde zurückgehen, sagt Chesney. «Und auf dieses Finanzcasino kann die Schweiz gut verzichten.»

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