Kritische Analyse des Finanzsektors

22 Juli 2014

| NZZ

Umstrittenes Universitätssponsoring

Welchen Anforderungen müssen ausgewogene Sponsoring-Verträge an Universitäten genügen?

Peter Ulrich, Wirtschaftsethiker und Marc Chesney, Finanzprofessor

Universitäten sind teure öffentliche Einrichtungen der Bildung und Forschung. Die ihnen zur Verfügung gestellten öffentlichen Mittel bleiben hinter dem wachsenden Bedarf infolge steigender Studierendenzahlen, wachsenden Lehr- und Forschungsaufwands, internationaler Akkreditierungen und Rankings sowie einer anspruchsvoller werdenden administrativen Infrastruktur zurück. Die Aufsichtsbehörden verlangen von den Universitäten zunehmend die teilweise Selbstfinanzierung. Spätestens die Diskussionen über das mit hundert Millionen Schweizerfranken vonseiten der UBS gegründete UBS International Center of Economics in Society an der Universität Zürich und über die Mitspracherechte von Nestlé bei zwei gesponserten Lehrstühlen an der ETH Lausanne haben den Bedarf nach klaren und glaubwürdigen Normen aufgezeigt, die sicherstellen, dass finanzielle Zuwendungen nicht zur Aushöhlung der Wissenschaftsfreiheit führen.

Klassische Vorstellung von der Universität als Ort des freien Denkens, Forschens und Lehrens

Die verschiedenen Einstellungen dazu hängen vom Vorverständnis dessen ab, was eine moderne Universität ausmacht – hier lassen sich zwei idealtypische Universitätsmodelle unterscheiden: Das klassische Ideal der Universität ist untrennbar mit dem Namen von Wilhelm von Humboldt (1767–1835) verknüpft. Die Universität wird bei ihm als Ort der reinen Wissenschaft verstanden. Ihre Entwicklung soll von keinen ihr äusserlichen Zwecken und Vorgaben beeinflusst werden, sondern allein der inneren Erkenntnislogik des akademischen Forschungs- und Reflexionsprozesses folgen (akademische Freiheit). Die Lehre basiert auf der freien persönlichen Forschung der Dozierenden (Einheit von Forschung und Lehre). Die Studierenden werden in die «Gelehrtenrepublik» eingeführt, indem sie lernen, durch eigenes Forschen Erkenntnisse zu gewinnen.

Das formt Persönlichkeiten, die dem humanistischen und emanzipatorischen Bildungsideal der Aufklärung entsprechen. Wer akademisch gebildet ist, hat das Vermögen zur selbstbestimmten Lebensführung ebenso wie zur republikanischen Teilnahme am «öffentlichen Vernunftgebrauch» (Kant) unter freien Bürgern erworben. Die ideale Wissenschaftsform korrespondiert somit mit der modernen, freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsform. Zu dieser trägt die Universität bei, indem sie die Identität von Bildungs-, Staats- und Wirtschaftsbürgertum fördert.

Universität wandelt sich zur Dienstleistungsorganisation für die Wirtschaft und Gesellschaft

Das Humboldtsche Ideal humanistischer Bildung hat jedoch nur noch wenig mit den heute dominierenden Anforderungen einer arbeitsmarktfähigen Ausbildung zu tun, wie sie sich beispielsweise in der Bologna-Reform niedergeschlagen haben. Je mehr die reale Universität zur Stätte qualifizierter Berufsausbildung wurde, umso mehr gewannen äussere Zwecke gegenüber dem inneren Selbstzweck der Wissenschaft an Gewicht.

Dem entspricht das im Jahr 2012 verabschiedete OECD-Leitkonzept «A Guiding Framework for Entrepreneurial Universities». Die Universität wird nun als eine Problemlösungs- und Dienstleistungsorganisation für Wirtschaft und Gesellschaft verstanden, die nutzbares Verfügungswissen generiert und dafür so weit wie möglich von den Nutzenempfängern bezahlt wird.

Fast konträr zur Humboldtschen Universitätsidee ist daher nicht mehr die akademische Autonomie das zentrale Anliegen, sondern eine niedrige Schwelle der Kooperation und des Wissenstransfers zwischen Wissenschaft und Praxis. Zahlungsbereite Nachfrage avanciert damit zu einem Schlüsselkriterium für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit einer Hochschule. In dieser Perspektive wird die Fähigkeit einer Universität, drittmittelfinanzierte Lehrstühle einzurichten, zum Indikator dafür, dass sie auf dem richtigen Weg ist.

Die zwei Universitätsmodelle widerspiegeln sich auch in der Trennung von ETH und kantonalen Universitäten

Die schweizerische Universitätspolitik hat bis anhin einen einigermassen ausgewogenen Mittelweg zwischen den beiden je auf ihre Weise radikalen Ideenwelten verfolgt. Am Humboldtschen Ideal haben sich, wenn auch kaum je so konsequent wie etwa deutsche Universitäten, lange Zeit die kantonalen Universitäten orientiert. Den beiden Bundesuniversitäten (ETHZ und EPFL) sind demgegenüber von Anfang an externe Zwecke zugrunde gelegt worden, die zwar nicht ausschliesslich, aber doch wesentlich industriepolitischer Art waren. Manche Elemente ihrer Ausrichtung können im Lichte des Modells der Entrepreneurial University besser verstanden werden als in jenem der Humboldtschen Universitätsidee.

Die bewährte Aufgabenteilung zwischen kantonalen und Bundesuniversitäten gilt es weiterhin zu beachten. Den beiden ETH ist eine weitgehende Ausrichtung auf eine niedrige Transferschwelle zur industriellen Praxis sowie zum Dienstleistungssektor quasi eingeschrieben. Ihre finanziellen Partnerschaften, beispielsweise nach den Spielregeln der Kommission für Technologie und Innovation (KTI), wurden von einer breiten Öffentlichkeit bis vor kurzem als unproblematisch wahrgenommen.

Das ändert sich derzeit. Noch stärker stehen die kantonalen Universitäten vor der Herausforderung, eine tragfähige Balance zwischen beiden Universitätsmodellen zu finden. Zwar ist es legitim und zeitgemäss, wenn sie sich hin zu Wirtschaft und Gesellschaft öffnen und für Impulse von aussen vermehrt empfänglich werden. Aber die Rolle der Universitäten als unantastbarer Ort des freien Denkens, Forschens und Lehrens bleibt für eine offene Gesellschaft unabdingbar.

Ausgewogene Sponsoring-Verträge müssen transparent sein

Welchen Anforderungen müssen demnach ausgewogene Sponsoring-Verträge genügen? Zu unterscheiden sind diesbezüglich wissenschaftsethische, finanzielle und organisatorische Kriterien. Zunächst zu den wissenschaftsethischen Prinzipien: Grundlegend ist das formale Erfordernis der vollständigen Transparenz aller Sponsoring-Verträge an Universitäten. Die uneingeschränkte «Fähigkeit zur Publizität» hat schon Immanuel Kant als den Prüfstein legitimer Rechtsansprüche begriffen; diese vertragen sich niemals mit einer «Maxime, die ich nicht darf laut werden lassen, ohne dadurch meine eigene Absicht zu vereiteln, (. . .) und zu der ich mich nicht öffentlich bekennen kann, ohne dass dadurch unausbleiblich der Widerstand aller gegen meinen Vorsatz gereizt werde» («Zum ewigen Frieden», 1795).

Das Transparenzgebot gilt nicht erst für die ausgehandelten Sponsoring-Verträge, sondern für alle relevanten Entscheidungsverfahren. Partielle Ausnahmen vom Öffentlichkeitsprinzip bedürfen ihrerseits einer «publizitätsfähigen» Begründung und der Überprüfung durch ein vertrauliches Gremium, dem volle Transparenz gewährt wird.

Primat der Wissenschaftsfreiheit

Inhaltlich steht der konsequent gewährleistete Primat der Wissenschaftsfreiheit an erster Stelle. Es gilt der eindeutige Schutz von Lehre und Forschungsvorhaben in allen Phasen vor Interventionen jeder Art seitens der Geldgeber. Einschränkungen der Publikationsfreiheit bezüglich der Ergebnisse gesponserter Forschung durch die Sponsoren sind prinzipiell ausgeschlossen.

Keine universitäre Werbeplattformen für Sponsoren

Den Sponsoren dürfen keine universitären Werbeplattformen offeriert werden. Die Bezeichnung ganzer Institute oder Lehrstühle, einzelner Hörsäle oder akademischer Veranstaltungen mit dem Firmennamen eines Sponsors ist zu vermeiden. Hingegen kann durchaus erwogen werden, den persönlichen Namen eines Mäzens, der mit einer finanziellen Zuwendung glaubhaft keinerlei eigene Interessen verbindet, in die Bezeichnung eines Förderbereichs einzubeziehen. Von Mäzenatentum kann dabei nur gesprochen werden, wenn eindeutig ideelle Motive dominieren, beispielsweise die Unterstützung «brotloser», aber kulturell und gesellschaftlich gleichwohl wertvoller Fachgebiete.

Schon vor der Erwägung eines Sponsoring-Vertrags sollte eine unabhängige und interdisziplinär zusammengesetzte akademische Kommission den guten Ruf des Sponsors überprüfen. Die Universität darf nicht für Zwecke der Rufbeschönigung oder Imageverbesserung einer Firma instrumentalisiert werden. Darüber hinaus kommt es auf den spürbaren guten Willen eines möglichen Sponsors zur Wahrung der akademischen Prinzipien an.

Klarer Rahmen der öffentlichen Finanzierung und ein inneruniversitärer Finanzausgleich

Zu den finanzielle Leitlinien: Unerlässliche Voraussetzung für gute Sponsoring-Verträge ist, dass ein klarer Rahmen der öffentlichen Finanzierung besteht, der eine Mindestausstattung aller Fachbereiche gewährleistet. Hier sind die Behörden in der Pflicht, tragfähige und mittelfristig verlässliche Verhältnisse zu schaffen. Fehlen diese, so kann es nicht verwundern, wenn Universitätsrektorate unter dem Druck von Finanzlücken dazu tendieren, die Spielregeln für Sponsoring-Verträge immer weiter zu lockern und auszureizen.

Innerhalb einer Universität ist nicht nur bei der Aufteilung der öffentlichen Mittel, sondern auch bei Sponsoring-Verträgen auf die Ausgewogenheit zwischen den akademischen Disziplinen zu achten. Um zwischen allen Fachgebieten – unabhängig von ihrer hohen oder geringen Affinität zu privatwirtschaftlichen Interessen – die faire Chancengleichheit und einen tragfähigen Pluralismus von Forschungsansätzen zu gewährleisten, ist eine Form von inneruniversitärem «Finanzausgleich» vorzusehen, in den alle Sponsoren verbindlich einbezogen werden. Das kann beispielsweise in Form einer einheitlichen prozentualen Abgabe von allen akquirierten privaten Drittmitteln geschehen.

Personalpolitische Autonomie - insbesondere in Berufungskommissionen

Bei der organisatorischen Umsetzung plädieren wir für eine klare Zuständigkeitsabgrenzung: Die Beteiligung der Sponsoren (oder von «Delegierten», die sie benennen können) in akademischen Gremien ist generell auszuschliessen. Es gilt die personalpolitische Autonomie der Universität hochzuhalten, insbesondere in Berufungskommissionen. Ebenso inakzeptabel wie die Einsitznahme in Gremien ist die Vorgabe hochspezifischer Lehr- oder Forschungszwecke durch Sponsoren.

Die Bildung einer permanenten interdisziplinären Kommission für die Ausarbeitung aller Sponsoring-Verträge dürfte zweckmässig sein, um ausgewogene Vertragsvorschläge zuhanden der Universitätsleitung zu gewährleisten, die allen involvierten Interessen unter Wahrung der dargelegten Prinzipien gerecht werden.

Nationale Rahmengesetzgebung muss Mindeststandards festlegen

Schliesslich stellt sich die Frage der Regelungsebene: Wie weit kann die Festlegung von Sponsoring-Richtlinien Gegenstand der (kantonalen) Universitätsautonomie sein? Wie weit sollte sie Sache der Gesetzgebung auf Bundesebene sein? Ohne der nötigen demokratisch-rechtsstaatlichen Willensbildung vorzugreifen, dürften hier die bewährten Grundsätze des schweizerischen Föderalismus gelten: kantonale Universitätsautonomie ja, aber innerhalb einer nationalen Rahmengesetzgebung, welche zwecks Fairness im Wettbewerb zwischen den Universitäten einheitliche Mindeststandards für eine nachhaltige Entwicklung ihrer Drittmittelfinanzierung definiert.

Peter Ulrich ist em. Professor für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen, Marc Chesney ist Professor für Quantitative Finance an der Universität Zürich. Der Artikel ist ein Diskussionsbeitrag von Kontrapunkt, dem schweizerischen Rat für Wirtschafts- und Sozialpolitik
www.rat-kontrapunkt.ch.

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