Kritische Analyse des Finanzsektors

23. März 2020

| Sonntagsblick

Sturm auf das Steuersystem

Die neue Volksinitiative für die Mikrosteuer will das Schweizer Steuersystem revolutionieren – mit einer Promille-Steuer auf den gesamten bargeldlosen Zahlungsverkehr in der Schweiz.

Sie ist das unbeliebteste Formular überhaupt: die Steuererklärung. Ende März ist sie wieder fällig. Die Rechnung kommt im Herbst – und die hat es in sich: Schweizer Haushalte geben ein Drittel ihres Geldes für Steuern und Abgaben aus. «Die Steuerbelastung ist zu hoch», sagt Reiner ­Eichenberger (58), Wirtschaftsprofessor an der Uni Freiburg. «Das schadet der Schweizer Wirtschaft und Wohlfahrt.»

Eine Reform tut not. Und doch graut Eichenberger vor dem, was sein Kollege Marc Chesney (61) vom Institut für Banking und ­Finance der Uni Zürich zusammen mit dem ehemaligen Bundesratssprecher Oswald Sigg (75) und dem Zürcher Vermögensverwalter Felix Bolliger (75) ausgetüftelt hat. Sie wollen das Schweizer Steuersystem revolutionieren – mit einer Mikrosteuer auf den gesamten bargeldlosen Zahlungsverkehr im Land.

Wann immer elektronische Rechnungen beglichen, Bankomaten benutzt oder Löhne überwiesen werden – bei jeder digitalen Geldtransaktion würde nach diesem Plan für den Überweiser und den Empfänger eine Mikrosteuer fällig. Starten wollen die Initianten mit einem Steuersatz von 0,05 Promille, der in der Folge jährlich angepasst würde. Die Obergrenze läge bei fünf Promille. Die Mikrosteuer soll die Mehrwertsteuer, die direkte Bundessteuer und die Stempelsteuer ersetzen und da­rüber hinaus genügend Geld einbringen, um Grossprojekte wie die Energiewende zu finanzieren. Übermorgen Dienstag wird der ­Initiativtext im Bundesblatt publiziert. Die Unterschriftensammlung beginnt Anfang März.

«Die Mikrosteuer ist einfach, ergiebig und gerecht»

Die Initiative muss mit hartem Gegenwind rechnen. «Von diesem Vorhaben halte ich gar nichts», sagt Professor Eichenberger. Auch Marco Salvi, Ökonom von Avenir Suisse, findet: «Natürlich ist die Idee zu begrüssen, unser komplexes Steuersystem durch ein einfacheres zu ersetzen – aber nicht so.» Vor allem aus der Finanzwirtschaft kommen Gegenargumente. Denn diese wollen die Initianten besonders stark zur Kasse bitten.

Bankenprofessor Marc Chesney schätzt das Volumen des bargeld­losen Zahlungsverkehrs in der Schweiz auf über 100 000 Mil­liarden Franken. «90 Prozent davon tätigt die Finanzwirtschaft.» Mit der realen Wirtschaft hätten diese Transaktionen nichts zu tun. Es gehe um Spekulation und schnelle Gewinne, um Wetten auf steigende oder fallende Kurse, Währungen und Rohstoffe, Bank­rotte von Firmen und Ländern. «Finanzkasino» nennt der Professor das. Er warnt: Finanzwetten würden enorme Systemrisiken erzeugen. «Es gibt eine riesige Menge elektronischer Transaktionen, die für die Wirtschaft überflüssig oder sogar schädlich sind.»

Ihnen wollen die Initianten der Mikrosteuer zu Leibe rücken. Im Visier haben sie besonders den Hochfrequenzhandel an den Börsen, der in Millisekunden riesige Geldmengen verschiebt. Solche Operationen sind undurchsichtig und komplex, weshalb sie kaum kontrollierbar sind. Die Mikro­steuer soll sie transparent machen und gleichzeitig einschränken.

Für die grosse Mehrheit der Bürger bringe die neue Steuer Erleichterungen im Vergleich zum heutigen System, sagen die Initianten. Marc Chesney rechnet vor: Eine vierköpfige Familie mit einem Haushaltsbudget von 100'000 Franken würde mit einer Mikrosteuer von einem Promille anstelle der Mehrwertsteuer und der direkten Bundessteuer rund 4500 Franken im Jahr sparen. «Die Mikrosteuer ist einfach, ergiebig und gerecht», sagt der ehemalige Bundesratssprecher Oswald Sigg. «Einfach, wenn man sie mit dem heutigen Steuersystem vergleicht. Ergiebig, weil sie Erträge bringt, die man von keiner anderen Steuer erwarten kann. Gerecht, weil sie dort ansetzt, wo das Geld vorhanden ist.»

«Die Banken werden versuchen, die Steuer auf die Kunden abzuwälzen.»

Das Finanzsystem generiere heute tatsächlich viele Transaktionen, bestätigt Marco Salvi von Avenir ­Suisse. Doch es sei fraglich, ob die Mikrosteuer viele Einnahmen aus dem Hochfrequenzhandel oder den Banken herausholen würde. «Banken werden sofort reagieren und beispielsweise ihre Transaktionen bündeln – das würde das Finanzsystem krisenanfälliger machen.» Reiner ­Eichenberger warnt: «Die Banken werden versuchen, die Steuer auf die Kunden abzuwälzen.» Wenn das nicht funktioniere, würden sie schliessen oder ins Ausland ausweichen – und die ­Finanzwirtschaft in der Schweiz würde verschwinden. «Dann müsste der Staat die Verbliebenen stärker zur Kasse bitten: Alle, die anständig arbeiten.» Die Finanzhaie treffe die Mikrosteuer hingegen kaum.

Mit Umgehungsmanövern sei zu rechnen, entgegnet Chesney. Den Steuerertrag sieht er deshalb nicht gefährdet: «Selbst wenn 80 Prozent der heutigen elektronischen Transaktionen ins Ausland abwanderten, würde eine Mikrosteuer in der Höhe von drei Promille noch 60 Milliarden Franken einbringen.» Damit liessen sich die drei Bundessteuern tatsächlich ersetzen: Sie spülen heute 47 Milliarden Franken in die Staatskasse. Ob es wirklich funktioniert, ist umstritten. Auf die Initianten und Unterstützer, zu denen auch der ehemalige Tessiner Staatsanwalt und Ständerat Dick Marty (75) gehört, warten harte Diskussionen und einfluss­reiche Gegner.

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