Kritische Analyse des Finanzsektors

25. November 2022

| Inside Paradeplatz

Von Sharm el Sheikh bis Doha: Das Mass ist voll

(1)Die COP-Kumpane sind einmal mehr zusammengetroffen, anlässlich der COP27. Sie hatten zweifellos vor, die Nicht-Umsetzung der meisten ihrer Umweltversprechen mit Glanz und Gloria zu feiern.

Wie jedes Jahr handelte es sich dabei im Grunde um ein Nicht-Ereignis voller Nicht-Entscheidungen.

Zur Vermeidung einer erheblichen Menge an Treibhausgasemissionen hätten die führenden Politikvertreter dieser Welt und ihre Lobbyisten-Buddies aus dem fossilen Energiesektor und der Finanzwelt doch wohl wenigstens die Anreise mit Präsidentenfliegern und Privatjets vermeiden und stattdessen per Dromedar kommen können.

Und da die COP ja am 18. oder vielmehr – weil die Party noch im Gange war – am 19. November zu Ende ging und der FIFA World Cup am 20. November begann, hätten sie sich dann ganz problemlos von Sharm el Sheikh nach Doha begeben können, sozusagen als (Dollar-)grüne Klimakarawane, um dort einer angeblich CO2-neutralen Fussballweltmeisterschaft beizuwohnen.

Im Dunstkreis von Zynismus und Käuflichkeit wäre dieser emissionsfreie Transfer der Grossen dieser Welt dann das Symbol für eine Neuausrichtung der Aufmerksamkeit gewesen, eine Fokusverschiebung vom Erdenball zum runden Leder.

Unterwegs hätten sie ihren Durst nach flüssigen Mitteln passenderweise in einer „Coca-Cola-Oase“ stillen können, bei einer Firma also, die die COP27 sowieso schon sponsert.

Als Versuch, die Normalsterblichen von ihren Nöten und vom desolaten Zustand unserer Erde abzulenken, hätte dieser Zug durch die Wüste ihr Image garantiert aufpoliert.

Das Jahr endet also mit der Fussballweltmeisterschaft in Katar, einer willkommenen Abwechslung – wären nicht beim Bau der Stadien mindestens 6’000 Gastarbeiter umgekommen, wäre da nicht der kolossale und absurde Energieverbrauch zur Klimatisierung der Stadien und wäre da nicht angesichts der geplanten rund 500 Flüge pro Tag, damit die Fans ihre Lieblingsmannschaft vor Ort anfeuern können, die angebliche CO2-Neutralität dieses World Cup eine Fata Morgana.

Während die COP-Kumpane Besorgnis angesichts des Klimawandels heucheln, erteilen grosse, internationale, oft „nachhaltige“ Banken Firmen wie Shell und TotalEnergies grosszügige Kredite, die die schamlose Ausbeutung der Ressourcen in der Arktis und damit eine unwiederbringliche Zerstörung der Natur ermöglichen.

Während die COP-Kumpane auf die Zukunft der Erde anstossen, finanzieren einige Finanzinstitute, darunter auch schweizerische, zur Freude von Jair Bolsonaro brasilianische Agrarunternehmen wie BrasilAgro und Marfrig, die sich an illegaler Abholzung im grossen Stil, Umweltzerstörung und Menschenrechtsverstössen beteiligen.

Während die COP-Kumpane sich gegenseitig auf die Schulter klopfen, hat TotalEnergies mitsamt seinen Partnern in Absprache mit der ugandischen Regierung die endgültige Investitionsentscheidung für ein riesiges Erdölförderungsprojekt und gleichzeitig dessen Start angekündigt.

Dazu gehört eine Pipeline, die entlang des grössten afrikanischen Sees verläuft, mehrere Schutzgebiete für Elefanten, Löwen und Schimpansen durchquert und zahlreiche natürliche Lebensräume vernichtet.

Auch fast 100’000 Menschen werden dabei zwangsenteignet.

Nur keine wesentlichen Änderungen durchsetzen, sondern sich zwischen zwei Glas Champagner heuchlerisch um den Zustand der Natur und den Klimawandel sorgen – diese Haltung zeichnet die meisten Regierenden sowie die Chefs von grossen Konzernen und systemrelevanten Banken aus.

Dabei wäre es allerhöchste Zeit, die Augen zu öffnen und die erforderlichen Entscheidungen zu treffen.

Die Hitzewellen, die uns im letzten Sommer heimgesucht haben, das weltweite massive Artensterben, die Umweltverschmutzung: All das zeigt, wie besorgniserregend die Lage ist.

Die Erdöl- und Erdgasbohrungen in Naturschutzgebieten und ihre Finanzierung müssen gestoppt werden, wie ganz allgemein das Wirtschaften im Raubtiermodus. Der Status quo ist nicht länger eine Option. Das Mass ist voll.

(1) Dieser Artikel erschien am 17.11.2022 in „Le Temps“ .

Zum Artikel

Wir verwenden Cookies

Manche Cookies sind für den Betrieb dieser Website notwendig, andere dienen statistischen oder Marketingzwecken. Sie können die Verwendung von nicht notwendigen Cookies ablehnen. Weitere Informationen zu unserem Datenschutz finden Sie hier.

Wir verwenden Cookies

Manche Cookies sind für den Betrieb dieser Website notwendig, andere dienen statistischen oder Marketingzwecken. Sie können die Verwendung von nicht notwendigen Cookies ablehnen. Weitere Informationen zu unserem Datenschutz finden Sie hier.

Your cookie preferences have been saved.